Das innere Team – Oder wie viele Stimmen wohnen in mir?

Ich bin davon überzeugt, dass wir alle schon Situationen bewältigt haben, welche wir als große Herausforderung empfanden, die uns schlaflose Nächte bereiteten oder den sprichwörtlich „letzten Nerv“ raubten. Gemeint sind schwierige Entscheidungen, die Frage nach der vermeintlich richtigen Reaktion oder aber das Finden von Erklärungen für die Dinge, die sich kaum erklären lassen. All diese Situationen haben eines gemeinsam: Sie führen dazu, dass sich in uns verschiedene Stimmen und Ansichten zu Wort melden, vielleicht sogar miteinander kämpfen und heiß diskutieren. Es geht dabei ums Abwägen, Bewerten oder Einschätzen. Wir versuchen, den besten Weg zu finden und Fehlentscheidungen zu vermeiden. Alle Eventualitäten sollen bedacht, alle möglichen Auswirkungen berücksichtigt werden. Wir schwanken hin und her, fühlen uns unentschlossen, hilflos und vielleicht sogar innerlich zerrissen. Starke Emotionen sind während dieses Prozesses völlig normal, eigentlich sogar Standard. Und oft fühlen sich Menschen hiervon belastet oder gar belästigt. Viel einfacher wäre es doch, wenn sich eine der Stimmen als die einzig richtige enttarnt und die perfekte Lösung auf dem Silbertablett präsentiert. Oder etwa nicht? In meinen Beratungen sprechen Menschen immer wieder mit Unbehagen über diese innere Unentschiedenheit. Sie möchten den Zustand schnellstmöglich beenden, suchen nach Klarheit und Lösungen, um eine Stimme als die Beste zu identifizieren.

Aber was ist es nun, dass uns da innerlich so aus dem Gleichgewicht zu bringen scheint?

Neurologisch betrachtet gibt es hierfür (noch) keine eindeutige Erklärung. Psychologen beschreiben diese konfliktfreudige Truppe, welche uns manchmal fast in den Wahnsinn zu treiben scheint, mit der Metapher des „INNEREN TEAMS“. Geprägt wurde dieses Konstrukt im Jahr 1998 durch den äußerst bekannten Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun, der hierzu ausführlich publizierte. Und es handelt sich dabei keineswegs um eine psychische Störung. Nein, wir sprechen von einer ganz „normalen“ und auch wertvollen menschlichen Funktion mit großen Potentialen. Auch wenn wir es vielleicht nicht immer merken, das innere Team ist jederzeit an unserer Seite. Selbst banale Situationen werden durch das Zusammenwirken verschiedener Anteile unserer Persönlichkeit bestritten. Das innere Team nimmt also großen Einfluss auf unser Denken sowie Handeln. Und das ist gut so! Denn immer dann, wenn sich die verschiedenen Stimmen mit einem Thema ausführlich beschäftigt und auf einen Konsens geeinigt haben, können wir angemessen und authentisch reagieren oder kommunizieren. Das sind dann die Situationen, in denen wir unser Handeln und unsere Entscheidungen als sicher bzw. passend empfinden. Wie die vielzitierte Medaille haben Herausforderungen nicht nur eine Seite und unser Inneres tut, was es tun muss. Es offeriert uns Pro und Contra, Für und Wider. Nicht immer sind die Einwände unseres inneren Teams angenehm zu hören, aber sie haben in jedem Fall eine Berechtigung. Gerade die unbequemen Teile unserer Persönlichkeit offenbaren in der Regel den essentiellen Kern einer Situation, Entscheidung oder notwendigen Reaktion. Es ist also eine wesentliche Kompetenz, mit den inneren Stimmen umgehen, sie anhören, moderieren und gewichten zu können. Es geht letztlich darum, die Synergieeffekte zu nutzen, statt sie als Belastung einzustufen. Unsere verschiedenen Persönlichkeitsanteile tragen große Potentiale in sich. Wenn wir uns die Zeit nehmen, ihnen zuzuhören und ihre Einschätzung in Relation zu unseren Zielen zu setzen, wird für jede(n) von uns ein großes individuelles Entwicklungspotential deutlich.

Das Team für alle Fälle!

Mir persönlich gefällt an diesem Modell ganz besonders die Bezeichnung TEAM, denn ein solches arbeitet für gewöhnlich nicht gegen- sondern miteinander. Und das ist es letztlich auch, was unser inneres Team bezweckt: Alle Stimmen suchen gemeinsam den für uns besten Weg und jedes Teammitglied erfüllt dafür eine spezielle Aufgabe. Es gibt den Kritiker, den Optimisten, den Antreiber und viele mehr…. Alle haben eine wichtige Funktion und keiner sollte überhört werden. Denn so wie auch in einem realen Team kommt Sand ins Getriebe, sobald ein Mitglied übersehen oder ignoriert wird. Die wichtigste Rolle aber haben wir als Teamleiter. Unsere Aufgabe ist es, alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen sowie am Ende eine Entscheidung zu treffen. Und genau hier liegt auch das Geheimnis, wie aus der Last der inneren Zerrissenheit die Ressource der inneren Vielfalt werden kann. Wenn wir also bereit sind, unsere verschiedenen Stimmen als Bereicherung zu betrachten, ihnen bewusst Gehör zu verschaffen, aber auch zu entscheiden, wann die Diskussion ein Ende haben muss, können wir ein ganz wunderbares Arbeitsergebnis unseres Teams erreichen – nämlich eine innere Klarheit verbunden mit bewussten Entscheidungen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Diskutieren und beim Nutzen der Kompetenzen Ihrer Teammitglieder.

Herzlichst Mareike Fährmann