Warum der Großkotz eigentlich ganz klein ist…

Wir alle kennen sie: Menschen, die sich überheblich oder großspurig verhalten, laut von ihren Triumphen berichten, andere nieder machen und sich selbst jederzeit im besten Licht präsentieren wollen. Manchmal fahren sie auch die teuersten Autos, tragen die dicksten Uhren oder Handtaschen und legen enorm viel Wert darauf, cool, unnahbar oder allwissend zu wirken. Einen Menschen (egal, ob weiblich oder männlich), der sich so verhält, bezeichne ich in diesem Artikel der Einfachheit halber mal ganz frech und umgangssprachlich als „Großkotz“ – auch, weil diese Formulierung sehr häufig von meinen Klienten verwendet wird.

Wie es zu diesem Artikel kam

In meinen Seminaren und Beratungen wird häufig das Thema Selbstwahrnehmung angesprochen. Fast immer werde ich gefragt, wie es zu geringen Selbstwertgefühlen kommt und wie diese bearbeitet werden können. In diesem Zusammenhang kommen zwangsläufig auch die oben beschriebenen Menschen-Typen zu Sprache. So erzählen meine Klienten von Kollegen – oft auch Vorgesetzten – die sich großspurig verhalten und damit im Leben recht weit gekommen sind. Dabei scheinen sie ohne Probleme auch den Schaden von anderen in Kauf zu nehmen und auf Gefühlen rücksichtslos herumzutrampeln. Sie werden als selbstverliebt und egoistisch beschrieben. Das kann bei Menschen, welchen dieses Verhalten fremd ist, Wut, Zweifel und ein großes Ungerechtigkeitsempfinden auslösen. Häufig wünschen sie sich (im Stillen), ein klein wenig von der Selbstliebe dieser Menschen abbekommen zu können und stehen unsicher, teilweise auch verängstigt im Schatten des Großkotzes. Denn gerade im Berufsleben wird diesem oft ein hohes Maß an Macht zuteil. Ein Großkotz kann öfter den Arbeitsplatz wechseln oder schnell zum Chef werden, weil er als Teammitglied schlichtweg kaum zu ertragen ist und er seine Vorhaben ohne Rücksicht auf Verluste durchdrückt, um an sein Ziel zu gelangen. Häufig ist er auch der „heimliche Chef“ und untergräbt im Team die Autorität des eigentlichen Vorgesetzten. Er nimmt sich nicht die Zeit, um das eigene Verhalten zu hinterfragen und kann dies in der Regel auch nicht wirklich gut – stattdessen tut er, was (in seinen Augen) getan werden muss und schaut dabei weder nach links noch nach rechts.

Alles in allem klingt es im ersten Moment nach einer Erfolgsstrategie, welche nur bewundert werden kann. Der Blick hinter die Fassade zeigt uns jedoch eine andere Wirklichkeit…

Wenn wir uns in den Seminaren schließlich mit der Persönlichkeit des Großkotzes auseinandersetzen, kommt es immer zu Aha-Effekten, welche beruhigend, oft auch tröstend wirken. Und genau deshalb widme ich meinen aktuellen Artikel diesem Thema. 😊

Der Blick hinter die Fassade – Wie selbstsicher ist der Großkotz?

Wenn wir hinter die Fassade des Großkotzes schauen könnten, würden wir ein überraschendes Bild vorfinden. Denn entgegen der weit verbreiteten Vermutung, dass der Großkotz (zu) selbstbewusst sei, zeigt sich bei genauer Betrachtung das blanke Gegenteil. Menschen, deren Verhalten zu den oben genannten Beschreibungen passt, sind in der Regel alles andere als selbstsicher. Tief in ihrem Inneren befindet sich ein trauriger, unsicherer Kern. Oder auch ein trauriges, ungeliebtes Kind.

Diese Antwort mag Sie überraschen – denn, wenn ich Sie frage, wie sich ein selbstunsicherer Mensch typischerweise verhält, werden sie mir wahrscheinlich in etwa so antworten: Er wirkt ruhig, zurückhaltend, in sich gekehrt. Er stellt sich nicht in den Mittelpunkt, traut sich kaum, seine Meinung zu äußern und zeigt schon durch seine Körperhaltung, dass er lieber übersehen werden möchte. Kurz gesagt: das Gegenteil des Großkotzes. Und doch sind sich beide näher als Sie vielleicht denken. Sowohl offensichtlich unsichere Menschen als auch Personen, die ich hier als Großkotz klassifiziere, verbindet entwicklungsbedingt eine wichtige Gemeinsamkeit: eine extrem unsichere psychische Basis in Form eines reduzierten Selbstwertgefühls. Beide halten tief in ihrem Inneren nicht viel von sich, stellen die eigenen Kompetenzen in Frage und machen sich selbst klein. Nur mit einem Unterschied: Der eine zeigt es, der andere überspielt es.

Ist Angriff die beste Verteidigung?

Es gibt verschiedene und vielfältige Gründe, weshalb Menschen einen Mangel im Bereich des Selbstwertgefühls ausbilden – hierzu ließen sich mindestens drei weitere Artikel formulieren, welche sich v.a. auf die Entwicklungspsychologie beziehen würden. Aus Kapazitätsgründen nehme ich an dieser Stelle keinen weiteren Bezug hierauf. Entscheidend ist jedoch, dass diese Basis so etwas wie das Fundament eines Gebäudes ist. Stellen wir uns also vor, wir haben einen Menschen, der aus verschiedenen Gründen mit einem selbstunsicheren Fundament ausgestattet ist. Dann gibt es zwei mögliche Varianten, für welches Gebäude er sein Fundament nutzt oder womit er es zu schützen versucht.

Möglichkeit 1: Es wird ein hohes, schillerndes Gebäude errichtet, um durch Imposanz zu beeindrucken und mit äußerer Größe oder Besonderheit von den Schwächen im Inneren abzulenken. Außenstehende sollen vom äußeren Wert also auf den inneren Wert schließen und das Gesehene nicht in Frage stellen. Wie in der Werbung heißt es: „Mehr Schein als Sein!“.

Möglichkeit 2: Es entsteht ein bescheidenes Haus in einer stillen Ecke, welches sich auf das Wesentliche konzentriert und hofft, von Außenstehenden oder Angreifern übersehen und dadurch nicht hinterfragt zu werden. Es folgt also der Strategie: Wenn ich mich unauffällig verhalte, werde ich vielleicht ignoriert und der Kelch geht an mir vorüber.

Selbstaufwertung durch Fremdabwertung

Beide Varianten dienen also dem Selbstschutz und sind letztlich Ausdruck einer inneren Not. Nur leider wirkt der Großkotz mit seiner Variante häufig bedrohlich auf andere Menschen und beeinflusst damit auch deren Wohlbefinden negativ. Denn er hat ein probates Mittel zur Verfügung, um sich besser zu fühlen: die Abwertung der anderen! Indem er also die Schwächen und Fehler seiner Mitmenschen in den Mittelpunkt stellt, fühlt er sich besser, da er sich über sie erheben kann und lenkt erfolgreich von den eigenen Defiziten ab. In der Psychologie wird diese Strategie „Selbstaufwertung durch Fremdabwertung“ genannt. Und was hier für den Großkotz sehr selbstwertdienlich ist, konfrontiert sein Umfeld immer wieder mit stark kränkenden Äußerungen und Verhaltensweisen. Das kann gravierende Auswirkungen haben, da es zum einen Beziehungen und zum anderen den Selbstwert der Mitmenschen schädigt – gerade, wenn es sich um ein Machtverhältnis (z.B. Vorgesetzter/Mitarbeiter) handelt oder sich beide in einer starken emotionalen Verbundenheit (z.B. Familie, Partner) befinden.

Treffen also nun ein augenscheinlich unsicherer Mensch und ein Großkotz zusammen, kann es passieren, dass der Großkotz die Schwäche des anderen nutzt, um seine eigene Not zu überspielen. Und an dieser Stelle kommt es zu einem enormen Leid beim Gegenüber, welches der Großkotz jedoch nicht sehen kann, da er mit seinem Selbstschutz beschäftigt ist: Der sowieso schon selbstwertgeschwächte Mensch wird weiter destabilisiert und gerät bei permanenter Konfrontation vielleicht sogar in eine tiefe Krise.

Was also tun?

Der wichtigste Tipp im Umgang mit dem Großkotz: Lassen Sie sich nicht einschüchtern und nehmen Sie sein Verhalten nicht persönlich. Alles, was der Großkotz Ihnen an den Kopf werfen mag, sagt nichts über Ihren Wert, sondern über seine Not aus. Je abwertender das Verhalten des Großkotzes ist, desto größer ist sein Minderwertigkeitsgefühl und sein Bedürfnis nach Selbstbestätigung!

Es ist also wichtig, Stärke zu zeigen und sich nicht auf die Machtspiele des Großkotzes einzulassen. Das heißt vor allem: Bleiben Sie sich selbst treu und zeigen Sie keine Angst! Setzen Sie vor allem ganz klare Grenzen, welche sich sowohl in Ihrer Kommunikation als auch in Ihrem Verhalten deckungsgleich zeigen sollten. Menschen, die sich vom Großkotz herumschubsen lassen, werden von ihm immer wieder gern als Spielball ausgewählt. Stellen Sie sich also nicht zur Verfügung!

Bei den meisten meiner Klienten hat sich schon viel verändert, wenn es ihnen gelungen ist, den Großkotz mit anderen Augen zu sehen. Wenn Sie sich also auf seinen wahren unsicheren Kern berufen, kann sein Verhalten Sie nicht mehr so stark kränken und beeinflussen. Machen Sie sich unabhängig von seiner Meinung, konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärke und lassen Sie sich vor allem nichts einreden. Besonders gern diskutiert der Großkotz über Schuld. Er möchte eine „reine Weste“ haben und Schuld für Fehler oder Schwierigkeiten auf andere abwälzen. Lassen Sie sich hierauf nicht ein. Diese Diskussionen können Sie nur verlieren, da der Großkotz niemals freiwillig seine Versäumnisse zugeben wird.

Ich wünsche Ihnen im Umgang mit dem Großkotz vor allem eines: Gelassenheit! Wenn Sie diese zum Ausdruck bringen, wird er die Freude daran verlieren, sich über Sie zu erheben!

Herzlichst Mareike Fährmann