Resilienz, die psychische Widerstandskraft – über den Umgang mit Krisen und Belastungen
Haben Sie sich schon einmal gefragt, woran es liegt, dass Menschen Belastungen und schwierige Ereignisse oder Situationen unterschiedlich verkraften? Weshalb also der eine den Verlust seines Arbeitsplatzes, den Tod einer ihm nahestehenden Person oder eine schwere Krankheit scheinbar einfach wegsteckt, während ein anderer daran zu zerbrechen droht? In meiner täglichen Arbeit werde ich regelmäßig mit dieser Frage konfrontiert. So treffe ich häufig Menschen, welche gerade damit beschäftigt sind, eine für sie extrem belastende Situation verarbeiten zu müssen. Dabei ist es ganz egal, um welche Krise es sich handelt – die Reaktionen der einzelnen Personen sind oft gleich, aber genauso häufig auch grundverschieden.
In der Psychologie wird diese Frage seit den siebziger Jahren mit dem Begriff der „Resilienz“ beantwortet. In der Übertragung bedeutet er „psychische Widerstandkraft“ – gleichzusetzen mit dem Vermögen, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen und gesund zu überstehen. Die Resilienzforschung beschäftigt sich also damit, herauszufinden, welche Persönlichkeitseigenschaften die Verarbeitung von Belastungen und Krisen begünstigen oder erleichtern. Aber auch damit, welche Vorgehensweisen sinnvoll sind, um die eigene Widerstandkraft oder die unserer Kinder zu stärken. Dabei wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene hilfreiche Faktoren enttarnt. Allen voran die Überzeugung, Einfluss auf das eigene Leben zu haben. Menschen, welche also glauben, dass sie widrigen Umständen nicht einfach ausgeliefert sind, sondern selbst einen gewissen Handlungsspielraum haben, können Krisen deutlich besser bewältigen als Personen, welche ihren eigenen Einfluss als gering einschätzen. Wie jeder von uns diesen Aspekt beurteilt, hängt wiederum mit dem Selbstvertrauen und dem Bild von den eigenen Fähigkeiten zusammen. Beides wird maßgeblich in der Kindheit entwickelt.
Im Zusammenhang hiermit steht eine weitere ausschlaggebende Fähigkeit – nämlich die, veränderbare von unveränderbaren Situationen unterscheiden zu können. Kaum etwas ist so sehr frustrierend, wie sich darüber aufzuregen, zu grämen und zu verzweifeln, wenn Dinge oder Situationen, welche außerhalb unseres Einflussbereiches liegen, anders verlaufen, als wir das möchten oder brauchen. Häufig erinnert das an den kraftraubenden „Kampf gegen Windmühlen“, welcher schlussendlich nur verloren werden kann. Und dabei ist im Gegenzug nicht gemeint, dass wir alles einfach so mit uns machen lassen, hinnehmen oder kampflos aufgeben sollten. Vielmehr geht es darum, Akzeptanz aufbringen zu können und schicksalhafte Entwicklungen als Teil des eigenen Lebens anzuerkennen. Menschen, welche diese Fähigkeiten besitzen, haben nachweislich gute Aussichten, persönliche Krisen zu meistern.
Insgesamt bedeutet resilientes Verhalten aber vor allem, Verantwortung zu übernehmen, an die eigenen Fähigkeiten zu glauben und für die persönlichen Überzeugungen zu kämpfen, statt bei Schwierigkeiten zu resignieren, die Schuld bei anderen oder den Umständen zu suchen. Häufig scheint es doch um einiges leichter zu sein, Außenstehendes für entstandene Probleme verantwortlich zu machen und eigene Anteile zu verleugnen. Voraussetzungen für eine gesunde Widerstandkraft sind also auch Offenheit und Ehrlichkeit sich selbst (bestenfalls auch dem Umfeld) gegenüber sowie die Bereitschaft zur Selbstreflexion.
Was hilft aber nun konkret im Umgang mit Belastungen?
Zuallererst geht es bei der Bewältigung von Schwierigkeiten darum, diese realistisch zu sehen. Nicht selten neigen wir im ersten Moment (oder auch länger) dazu, Probleme zu dramatisieren oder zu verleugnen. Beides führt letztlich zu Konflikten. Entweder, indem wir Schwierigkeiten überbewerten und gleichzeitig unsere Kompetenzen abwerten. Dann fühlen wir uns ohnmächtig, handlungsunfähig und ausgeliefert. Oder aber, indem sich der Zustand verschlimmert, weil sich ignorierte, übergangene und ungeklärte Probleme anhäufen. Beide Vorgehensweisen enden also zwangsläufig in neuen Krisen. Besser ist es deshalb, die vorliegende Situation auf ihre tatsächliche Bedrohlichkeit hin zu beleuchten, das heißt, sie im Gesamtzusammenhang zu sehen und sie vor allem in Relation zu anderen Schwierigkeiten zu setzen. Wenn Sie zum Beispiel durch die Fahrprüfung gefallen sind, weil Sie Angst hatten bzw. aufgeregt waren und nun befürchten, niemals die Fahrerlaubnis zu erlangen, sich gedanklich vielleicht sogar in Ihre eigene vermeintliche Unfähigkeit hineinsteigern, dann reden wir vom Dramatisieren. Außer, dass sich Ihre Aufregung noch mehr zuspitzt, würden Sie damit nichts erreichen. Stattdessen wäre es hilfreich zu überlegen, wie schlimm dieser Fauxpas denn nun wirklich war. Sich zum Beispiel vor Augen zu führen, welche anderen (vielleicht schwierigeren) Situationen Sie bereits bewältigt haben, welche Möglichkeiten Ihnen zur Verfügung stehen, um Ihre Aufregung zu bekämpfen, oder ob es nicht deutlich Dramatischeres gibt, was Ihnen widerfahren könnte, als durch eine Prüfung zu fallen. Sie könnten sich auch fragen, was Sie anderen in dieser Situation raten würden oder wen Sie um Unterstützung bitten wollen. Die Forschungsergebnisse sind sich einig, dass Menschen, die um Hilfe bitten und soziale Kontakte halten können, ebenso wie Personen, welche in der Lage sind, nach Lösungen, statt nach Schuld und Gründen zu suchen, eine erhöhte Widerstandskraft besitzen.
Ein anderer wichtiger Aspekt, welcher beim Verarbeiten schwieriger Situationen hilfreich sein kann, ist, den Geschehnissen einen Sinn zu geben gemäß dem Sprichwort: „Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendetwas gut ist!“. Denken Sie einmal zurück: Gab es nicht auch in Ihrem Leben schon Situationen, die Sie in der akuten Phase als unüberwindbar einschätzten, während Sie aus heutiger Sicht denken: „So hart die Zeit auch war, sie hat mir ermöglicht, so zu sein, wie ich jetzt bin, oder das Leben zu führen, wie es heute ist.“? Ich treffe öfter Klienten nach längerer Zeit wieder, die mir rückblickend sagen, dass die ehemalige Krise sie weitergebracht oder neue Türen und Tore geöffnet hat. Und auch in meinem Leben gibt es Situationen, welche erst nach vielen Jahren einen Sinn ergeben haben.
Weiterhin ist es entscheidend, mit welcher „Brille“ wir die Welt sehen (wollen). Wenn Menschen zu den Pessimisten gehören, welche immer erstmal vom Schlimmsten ausgehen, um bestenfalls positiv überrascht zu werden, wird es auch in Krisen schwer sein, Zuversicht zu empfinden und Lichtblicke zu erkennen. Die Art zu denken ist eine Gewohnheit, welche sich ändern lässt! Doch wenn wir ein zuversichtliches Denkverhalten in krisenarmen Zeiten nicht trainiert und verinnerlicht haben, wird uns das in Ausnahmezuständen erst recht nicht gelingen. Schon unseren Kindern zuliebe sollten wir deshalb üben, das halb volle Glas zu sehen. Denn wir sind auch in Punkto Widerstandkraft und Konfliktmanagement Vorbild für unsere Jüngsten. Und oft sind es in ganz schlimmen Zeiten erst einmal nur die Zuversicht und die Überzeugung vom guten Ausgang, welche Menschen vor dem Verzweifeln und Aufgeben bewahren. Sehr hilfreich kann auch der Glaube sein.
Wenn Sie jedoch vorbeugen und sich stärken wollen, um im Falle des Falles gewappnet zu sein, dann steht unumstritten Folgendes im Vordergrund: Je mehr Sie mit sich, Ihren Stärken und Schwächen im Reinen sind, desto eher wird es Ihnen gelingen, Krisen zu überwinden und zu bewältigen. Eine Grundvoraussetzung für Resilienz ist also ein guter Umgang mit sich selbst. Sorgen Sie für sich und Ihre Bedürfnisse, stehen Sie im ständigen Kontakt mit den eigenen Emotionen, Wahrnehmungen und Interpretationen, haben Sie Ihre Kräfte im Auge und befreien Sie sich von „Energiefressern“. Zeigen Sie Ihren Kindern, wie schwierige Situationen mit Herz und Verstand gemeistert werden, trainieren Sie Ihre Flexibilität und Kreativität, dann werden Sie auch schwierige Zeiten resilient bewältigen und daran wachsen. Davon bin ich überzeugt ;-)!
Herzlichst Mareike Fährmann